So geht digitale Verbandskommunikation

Christoph Borer Christoph Borer on 7. November 2018 16:45:00 MEZ

Interview mit Nathalie C. Maring, Doktorandin und Projektmitarbeiterin am Verbandsmanagement Institut (VMI) der Universität Freiburg (CH) und Co-Autorin der im Frühjahr 2018 publizierten Studie «Vereins- und Verbandskommunikation im digitalen Zeitalter».  

 

Frau Maring, heute kann ich mich als Berufstätiger über XING oder LinkedIn mit anderen Personen aus der gleichen Branche vernetzen, machen soziale Netzwerke bald Verbände überflüssig?

Nein, sicherlich nicht. Ein Verband hat Aufgaben, die wichtiger sind als nur ein Netzwerk zusammenzuhalten. Zu seinen Leistungen zählen u. a. die Interessenvertretung in der Politik und Öffentlichkeit, die Aus- und Weiterbildung des Berufsnachwuchses, Beratungsleistungen für seine Mitglieder oder die Koordination. Das bedingt Ressourcen, die weder bei XING- noch LinkedIn-Netzwerken zur Verfügung stehen. Gerade bei Wirtschaftsverbänden ist der persönliche Zugang zu politischen Entscheidern zentral, was diese Netzwerke nicht leisten können. Digitale Netzwerke ersetzen den Verband somit nicht, sondern können diesen eher ergänzen und stärken.

Wie verändert die Digitalisierung nun aber die Kommunikation zwischen dem Verband und seinen Mitgliedern?

Hier gilt es, verschiedene Punkte zu beachten: erstens wird die Kommunikation von einer Bringschuld vonseiten des Verbands auch zu einer Holschuld. Heute sind Informationen überall zugänglich, das Mitglied will unabhängig von Ort und Zeit Zugriff auf wichtige Informationen. Das müssen auch Verbände ermöglichen.

Zweitens entwickelt sich die Kommunikation durch die Digitalisierung von einer Einwegkommunikation in Richtung eines Dialogs. Das ist für den Verband insofern von Bedeutung, als er jetzt neu auch direkt Feedback auf seine Mitteilungen erhält und angemessen darauf reagieren muss. Das verlangt nach entsprechenden Ressourcen und Fähigkeiten.

Drittens gilt es zu berücksichtigen, dass im Internet ein verstärkter Kampf um Aufmerksamkeit besteht. Verbände sind gefordert, viel stärker die Sicht der Mediennutzer einzunehmen, Ihre Inhalte zu schärfen und auf die Bedürfnisse der Mitglieder auszurichten.

Weil das Nutzungsverhalten insgesamt heterogener wird und die neuen Kanäle die bestehenden ergänzen und nicht ersetzen, sehen sich vor allem kleinere Verbände mit beschränkten Ressourcen vor die Herausforderung gestellt, wo sie präsent sein wollen, um möglichst viele Mitglieder zu erreichen.

Dabei muss allerdings sichergestellt werden, dass keine Informationsdisparität zwischen den Mitgliedern entsteht, die unterschiedliche Kanäle nutzen. Wie das Beratungsunternehmen Wamag jüngst in einer Studie aufgezeigt hat, wünschen sich beispielsweise Personen über vierzig Jahren heute immer noch, über die gedruckte Mitgliederzeitschrift informiert zu werden.

Das heisst, man kann sich keine reine Fokussierung auf Digital erlauben. Die Wahl der richtigen Kanäle und die Platzierung relevanter Inhalte stellen zunehmend eine Herausforderung insbesondere für Verbände dar, die nur mit wenigen Ressourcen in der Kommunikation ausgestattet sind.

Auf welchen Kanälen muss denn ein Verband heute präsent sein?

Die eigene Website hat sich gemäss unserer Studie zum wichtigsten Kanal entwickelt und fungiert als eine Art Schaufenster für den Verband. Ein eigener Newsletter sowie E-Mail für den direkten Austausch mit Verbandsmitgliedern sind ebenfalls nicht mehr wegzudenken.

Bei den sozialen Netzwerken stellt sich dann die Frage, ob die Anspruchsgruppen eines Verbands auf diesen vertreten sind und welche Inhalte angeboten werden können. Wesentlich ist beim Einsatz dieser Kanäle immer auch eine regelmässige Überprüfung, was für den Verband Sinn ergibt und ob die gewählten Kanäle die Kommunikation auch positiv unterstützen.

Verfügt ein Verband über sehr viel Bildmaterial, oder sogar Videos, und ist eine jüngere Zielgruppe relevant, so bieten sich beispielsweise Instagram oder Youtube an. Sollen hingegen tagesaktuelle, möglicherweise politische Inhalte oder Branchen-News übermittelt werden, so kann Twitter die Kommunikation unterstützen.

Digitale Kanäle einzusetzen, nur weil es einem allgemeinen Trend entspricht, davon rate ich ab. Eine Schweizer Studie stellte kürzlich fest, dass die Nutzung sozialer Medien hierzulande erstmals zurückgegangen ist und vor allem Facebook und Twitter nach den Datenskandalen und der Berichterstattung im Umfeld der US-Präsidentschaftswahlen an Glaubwürdigkeit eingebüsst haben.

Reagieren Verbände in Ihrer Einschätzung bereits, indem jüngere, mit diesen Plattformen besser vertraute Personen mit der Adressierung dieser Herausforderungen betraut werden?

Wie wir im Rahmen unserer Studie herausgefunden haben, herrscht unter den befragten Führungskräften und Kommunikationsverantwortlichen in Schweizer Verbänden bereits ein grosses Bewusstsein für diese Veränderungen. Einige dieser Organisationen haben bereits konkrete Initiativen in Angriff genommen.

Die Herausforderung in vielen Verbänden besteht aber meist darin, dass diese Aufgaben von bestehenden Mitarbeitenden zusätzlich übernommen werden. Während diese neuen Kanäle einen kleineren finanziellen Aufwand bedeuten als etwa die gedruckte Zeitschrift, benötigt die Kommunikation über digitale Kanäle enorm viel Zeit, etwa für den Aufbau und die Pflege von «Communities», insbesondere für den Dialog mit den Nutzern. Das kann man nicht einfach delegieren. Und ausserdem braucht es meist neue, zusätzliche Personen, die Freude an der digitalen Kommunikation haben und durch die eigene Nutzung dieser Kanäle auch ein Gespür dafür entwickeln, was dort passiert und was gut ankommt. Sonst wirkt der Auftritt nicht authentisch.

Wo sehen Sie die vielversprechendsten Ansätze im Einsatz digitaler Kanäle & Tools?

Storytelling ist sicher wichtig, aber auch der Einsatz audiovisueller Medien. Die Industrie- und Handelskammer Deutschland beispielsweise arbeitet im Berufsmarketing viel mit Videos, um insbesondere jüngere Zielgruppen zu erreichen. Daneben bieten sie etwa auch Webinare zu bestimmten Themen an.

Im Bereich der Eigenleistungs-NPO ist v.a. der Sektor Kultur und Freizeit verglichen mit den anderen Sektoren in der Schweiz digitaler Vorreiter. Hier wird stark mit Videos und Bildern gearbeitet. Zu nennen sind etwa die Swiss Football League oder SwissTennis – hier sind natürlich grosse Emotionen die Regel!

Der Blutspendedienst des Schweizerischen Roten Kreuzes nutzt u. a. Videos, um über Themen wie die Blutstammzellspende aufzuklären und die Menschen für das Thema zu sensibilisieren. Gekonnt setzen sie Storytelling ein (z. B. das Video «Lebensretter gefunden»), um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen und die Nutzer direkt zu involvieren. Auch Terre des hommes betreibt gutes Storytelling, indem sie nicht nur wachrütteln, sondern auch aufzeigen, dass es einen Weg aus der gegenwärtigen Situation gibt.

Wie soll ich als Verband das Thema konkret angehen?

Am Anfang steht die Frage, auf welchen Kanälen sich meine Zielgruppe aufhält. Hier soll man sich entsprechend fokussieren, klein starten und bei Erfolg zusätzliche Kanäle hinzunehmen. Wenn man als Verband einen Kommunikationsweg wie eine Facebook-Seite aufbaut und nach einem ersten Post dann bereits wieder brach liegen lässt, schadet das dem Ruf eher.

Zu vermeiden ist aber auch, als Verband die Rezipienten zu erziehen. Mitglieder müssen sich nicht dem Verband anpassen, sondern umgekehrt. Als Verband muss ich verstehen, wie meine Mitglieder diese Medien nutzen, wie und wann ich mit meinen Inhalten und Positionen am besten an sie herankomme.

Storytelling und der Dialog mit Rezipienten sind weitere spannende Möglichkeiten, mit denen sich Verbände im Rahmen ihrer Onlinekommunikation auseinandersetzen sollten.

Man sollte sich aber immer bewusst sein: Digitale Kanäle nutzen heisst auch investieren. Gerade die neuen Potenziale des Dialogs mit Mitgliedern in sozialen Netzwerken erfordern zusätzliche Ressourcen. Der Aufbau und die Betreuung einer Community, die Produktion von Inhalten für diesen Kanal kann rasch einige Stunden pro Tag in Anspruch nehmen.

Das Monitoring & Controlling der Aktivitäten ist ebenfalls zentral. Elektronische Analysetools wie Google Analytics erlauben eine genaue Auswertung darüber, was funktioniert und was nicht. Dies erlaubt die schrittweise Optimierung des Dialogs mit den Nutzern.

 

Topics: Social Media, Konzepte und Strategien, Kommunikation